I.Das Klinikum steckt in der Krise. Covid-19 hat sichtbar gemacht, wie schnell ein System, das im Alltag Überlast fahren muss um elementare Patientenversorgung zu gewährleisten, aus der Balance kippen kann. Und wie erlebt es das Klinikpersonal*?
“In unserem seit Jahren ohnehin angespannten Arbeitsalltag schlug der Virus ein wie eineBombe!Täglich neue Informationen, Umstrukturierungen und Anweisungen bei laufendem Betrieb.Diese Herausforderungen lösen in jedem Menschen Ängste und Sorgen aus. Nicht jeder Mitarbeiter arbeitet freiwillig in dem Coronabereich, denn nicht immer waren die elementaren Voraussetzungen gegeben: ausreichende Schutzkleidung und engmaschige Tests. Es gab aber auch Opferbereitschaft und die Mehrheit der Kolleginnen will die Aufgaben nach bestem Wissen und Gewissen zum Wohl der ihnen Anvertrauten erfüllen.” (Karin, Krankenpflegerin) “Die Inkubationszeiten sind ja wesentlich länger als erwartet, so kann man das Risiko, schwer zu erkranken, noch nicht abschätzen. Es war auch unverantwortlich, dass die Mitarbeiter der Servicegesellschaft teilweise ungeschützt durch das ganze Haus geschicktwurden.“ (Gudrun, Krankenpflegerin)
Die Berichterstattung war schnell darauf aus, Schuldige zu finden und konzentrierte sich auf Geschäftsführung, Leitungsabläufe, Fehler im Risikomanagement. Nicht immer wird die Berichterstattung vom Personal des Klinikums als angemessen empfunden: “Mit keinem Wort wird in der Presse erwähnt, dass durch das schlechte Krisenmanagement das Klinikpersonal und deren Familien in Gefahr gebracht wurden. Noch sind nicht alle Mitarbeiter getestet…” (Regina, Diagnostik)
“Einige Medienberichte sind zwar Erstinformationsquelle gewesen, jedoch auch teilweise leider eine Art Rufmord. Und ich beobachte, wie aus der klatschenden Bürgerschaft gerade misstrauische Nachbarn werden.” (Jan, Krankenpfleger)
II. Es gab Organisationsversagen.Das Versagen ist nicht beschränkt auf mangelhafte Quarantäne, fehlende Linelists und lückenhafte Kommunikation mit dem Gesundheitsamt.Das Versagen fängt früher an: Ein betriebswirtschaftlich rechnender Geschäftsführer sicherte den kommunalen Weiterbetrieb des Klinikums; er rettete die Krankenhäuser in Forst und Belzig vor der Privatisierung; er sparte Kosten, indem er Klinikbereiche in mehrere Tochtergesellschaften mit niedrigerem Lohnniveau ausgegliederte; er häufte Rücklagen von beträchtlicher Millionenhöhe an, um in der Region zu expandieren. Auch der Kauf vonRepräsentationsobjekten, wie der Villa Bergmann und Segelyachten für das Unternehmen, fallen in seine Amtszeit. All das immer mit Rückendeckung des alleinigen Gesellschafters, der Landeshauptstadt Potsdam, seiner Oberbürgermeister und der Mehrheit der Stadtverordneten. Eine Bilanz des wirtschaftlichen Erfolgs. Aber um welchen Preis? Allgemein bekannt ist die Atmosphäre der Angst und Einschüchterung, die sich in den vergangenen Jahren im Klinikum breitgemacht hatte. Die Arbeitszufriedenheit war stark beeinträchtigt. Von Wertschätzung fehlte jede Spur.
“Die Kollegen des Betriebsrates haben erzählt, wie sehr sie unter Druck gesetzt wurden. Es hieß: Wenn der TVÖD kommt, wird die Abteilung verkauft.” (Marlene, Diagnostik) Personalmangel führte zu Unterbesetzung und Arbeitsdruck in allen Bereichen. Die Beschäftigen versuchten, sich mit Gefährdungsanzeigen dagegen zu wehren. “Schon lange gab es immer wieder Gefährdungsanzeigen. Teilweise wurden diese Hilferufe von den Vorgesetzten als rein subjektives Empfinden heruntergespielt. Bekannt war das auch im Rathaus und unter den Stadtverordneten. Nach unserem Bürgerbegehren war es im Januar auch Thema in der SVV und der RBB berichtete über unseren Unmut. Ich hoffe nun, dass sich etwas ändert und die Gefährdungsanzeigen ernst genommen werden” (Martha, Krankenpflegerin) Aus dem Klinikum Ernst von Bergmann wurden mehrere Tochterunternehmen ausgegliedert, so z.B. die Servicegesellschaft, die Cateringgesellschaft, die Diagnostik, das Medizinischen Versorgungszentrums u.a.m.Der betriebswirtschaftliche Vorteil für das Stammhaus ist allein die Kostenersparnis, die aus knappen Personaleinsatz und abgesenkten Lohnniveau in den Tochterunternehmen herrührt. Allerdings haben „Outsourcing“ und Sparen an Lohnkosten zur Gewinnerhöhung Folgen: “Wir haben immer angemahnt, wie prekär die Hygiene im Klinikum ist und das schon sehrlange. Ganz schwierig für die Arbeitsabläufe ist die Fluktuation des Personals. Die alte Krankenhausstruktur mit einer festen Besetzung auf einer Station – von Krankenschwestern über die Küche bis zur Reinigung – hatte das besser im Griff.” (Erika, Krankenpflegerin)
III. Es liegt auch Systemversagen vor. Der Gesundheitssektor wurde seit den 1990er Jahren durch zahlreiche Gesetzespakete darauf getrimmt, medizinische Behandlungen nach betriebswirtschaftlicher Kalkulation und nicht nach ärztlicher Indikation durchzuführen.Mitte der 1990er Jahre wurde das wenige Jahre zuvor eingeführte System der Pflegepersonalregelung (PPR), das nach arbeitswissenschaftlichen Methoden für jede pflegerische Tätigkeit eine Zeitgröße ermittelte, als Grundlage der Leistungsvergütung der Krankenhäuser wieder außer Kraft gesetzt. 2004 kam dann das Fallpauschalensystem(DRG), das aus Durchschnittswerten abgeleitete Preise als alleinige Richtgröße der Budgetzuteilung der Krankenhäuser nahm. Zu diesem durch Bundesgesetzgebung bestimmten Trend der fortschreitenden Ökonomisierung des Gesundheitswesens trägt verschärfend bei, dass die Bundesländer – auch Brandenburg – ihrer Investitionsverpflichtung im Krankenhaussektor nur unzureichend nachkamen. In diesem gesundheitspolitischen Umfeld hat die Geschäftsführung des Klinikums Ernst von Bergmann agiert. Der Tendenz der Ökonomisierung konnte sich das städtische Klinikum nicht entziehen. Die Stadt Potsdam hätte allerdings gegensteuern und den wirtschaftlichen Druck auf die Senkung der Personalkosten reduzieren können. Sie hätte, wie andernorts in Deutschland geschehen, das kommunale Krankenhaus mit dem Erbringen medizinischer Versorgungsleistungen, die zu den Dienstleistungen von einem allgemeinen wirtschaftlichen Interesse zählen, betrauen und dafür Zuwendungen zum laufenden Betrieb vertraglich vereinbaren können.Das ist in den vergangenen 15 Jahren nicht geschehen. Jetzt, nach zwei erfolgreich abgeschlossenen Bürgerbegehren und unter dem Eindruck der Corona-Krise hat sich eine Mehrheit der Fraktionen der Stadtverordnetenversammlung entschlossen, einen Antrag zu formulieren, der diesen lange ignorierten Weg gehen will. Der Antrag übernimmt die Anliegen der Bürgerbegehren nach einer Rückkehr aller Unternehmen des Klinikkonzern in den Kommunalen Arbeitgeberverband und der damit verbundenen Bezahlung nach dem TVöDund nach einer Erstellung von Plänen für die Personalmindestbesetzung.
IV. Die Stadt Potsdam hat jetzt die Chance, das Klinikum Ernst von Bergmann wieder in den Dienst der öffentlichen Daseinsvorsorge zu stellen. Sie hat die Chance, das Klinikum und alle Tochterunternehmen wieder zusammenzuführen und die Mitarbeitenden in allen Bereichen nach den Regeln des Tarifvertrages des öffentlichen Dienstes (TVöD) zu beschäftigen. Sie hat die Chance, für personelle Entlastung und einen wertschätzenden Umgang mit den Beschäftigten zu sorgen. Dies wird nicht nur Engagement und Zeit kosten; es wird auch Geld kosten. Die Corona-Krise ist Anlass, über das Verhältnis von Gesellschaft und einer zerstörerisch wirkenden Ökonomie nachzudenken. Die Corona-Krise im Klinikum Ernst von Bergmann ist Anlass, einen kleinen Bereich der Daseinsvorsorge in Potsdam der ökonomischen Logikder Gewinnmaximierung zu entziehen.
“Wir sind keine Helden. Uns befällt jeden Tag ein flaues Gefühl, wenn wir ein fast leeres Krankenhaus betreten, in denen Teile durch neue Türen und große Warnschilder gesichert sind. Unsere Hoffnung besteht darin, dass man nach dieser Pandemie unsere tägliche Arbeit anerkennt. Und dass endlich klar wird, dass Gesundheit immer vor Profit stehen muss.” (Monika, Krankenpflegerin)
* Die Zitate sind Äußerungen von Kolleginnen und Kollegen des Klinikums Ernst von Bergmann. Die Namen wurde aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes geändert.
Potsdam, April 2020 Initiativgruppe der Bürgerbegehren für faire Bezahlung und für bessere Arbeitsbedingungen in der Klinikgruppe Ernst von Bergmann „Gesunde Zukunft“